Paul Pfeffer
Richtig Gendern? Nein, Gendern richtig kritisieren!
Führt „geschlechtergerechte Sprache“ zu mehr Geschlechtergerechtigkeit?
Nur Anschauungen, die kritischen Argumenten
ausgesetzt werden, können sich bewähren. (Hans Albert)
1. Gendern verkennt den Unterschied zwischen grammatischem „Geschlecht“ (Genus) und biologischem Geschlecht (Sexus)
Deutsch ist eine genusbasierte Sprache. Im Deutschen gibt es drei Genera (Plural von Genus): männlich/maskulinum, weiblich/femininum und sächlich/neutrum. Einige Beispiele dazu:
Genus maskulinum:
der Baum, der Tisch, der Storch, der Mond, der Sex, der Tod, der Büstenhalter, der Feminismus ...
Genus femininum:
die Blüte, die Vase, die Amsel, die Sonne, die Geburt, die Sexualität, die Mannschaft, die Polizei ...
Genus neutrum:
das Blatt, das Hemd, das Leben, das Weltall, das Ende, das Desaster, das Bett, das Alibi …
Die folgenden Beispiele zeigen, dass Genus und Sexus nicht deckungsgleich sind:
Sexus männlich:
der Mann, der Junge, das Männchen, der Star, die Flasche (im übertragenen Sinn), die Niete, die Landplage, der Schatz ...
Sexus weiblich:
die Frau, das Girl, das Mädchen, die Herrin, das Weibchen, der Star, der Dummkopf, die Niete, der Neuling, der Schatz …
Was wird hier sichtbar?
Die Genera sind historisch gewachsen, sie sind sprachliche Übereinkünfte. Bis heute hat die Sprachwissenschaft zwar einige Erklärungsansätze, aber keine plausible Erklärung für die Entstehung der Genera gefunden. Die grammatischen „Geschlechter“ (Genus, pl. Genera) folgen nicht der Logik des Sexus, sondern sie können das biologische Geschlecht außer Kraft setzen. Sie können sexusübergreifend bzw. sexusneutral verwendet werden. Diese sexusneutralen Formen heißen „generische“ Formen.
Der deutsche Begriff „Geschlecht“ für das lateinische „Genus“ ist im Übrigen eine unglückliche Übersetzung und stiftet Verwirrung, ebenso die Begriffe „männlich“, „weiblich“ und „sächlich“. Besser wäre „Genus 1, 2, 3“. Es spricht einiges dafür, dass diese eigentlich irreführenden Bezeichnungen neben feministischen, poststrukturalistischen und sprachpsychologischen Überlegungen die Sprachaktivistinnen erst auf die Idee gebracht haben, die deutsche Sprache sei eine „Männersprache“ (L. Pusch) und müsse zu einer „Frauensprache“ (S. Trömel-Plötz) umgeformt werden.
Genus und Sexus haben jedoch nur in wenigen Fällen direkt miteinander zu tun, zum Beispiel dann, wenn Lebewesen allgemein oder Menschen und ihre Funktionen/Rollen/Tätigkeiten/Berufe bezeichnet werden.
Die meisten Nomen stehen im Deutschen übrigens im Femininum, weil alle Nomen auf die Suffixe (Endungen) -e, -ei, -ung, -heit, -keit, - igkeit, -schaft, -tion, -lichkeit, -ligkeit „weiblich“ sind (z. B. die Mannschaft). Nomen mit der Endung -ismus sind dagegen alle „männlich“ (z. B. der Feminismus), Diminutive sind alle „sächlich“ (z. B. das Schätzchen). Autos sind „männlich“ (der Opel), Schiffe „weiblich“ (die Andrea Doria). Die Verteilung ist 46% femininum, 34% maskulinum, 20% neutrum. Man würde den gleichen Fehlschluss begehen wie die Sprachaktivisten, wenn man auf Grund dieses Befundes die deutsche Sprache als „Frauensprache“ bezeichnen würde.
Generische Formen werden sexusübergreifend verwendet. Sätze wie „Er ist eine Landplage“ oder „Sie ist ein Schatz“ oder „Sie ist ein Star“ sind normgerechte Sätze der deutschen Sprache. Niemand (außer Sprachaktivistinnen?) käme von selbst auf die Idee zu sagen „Er ist ein Landplag“ oder „Sie ist eine Schätzin“ oder „Sie ist eine Starin“.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bei den Sammelformen für Lebewesen alle drei Genera zur Anwendung kommen. Für die männlichen bzw. weiblichen Individuen einer Spezies gibt es (teilweise) eigene Formen. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass Genus und Sexus unterschieden werden müssen:
Genus maskulinum: der Mensch/Menschen/der Mann/die Frau; der Elefant/Elefanten/der
Elefantenbulle/die Elefantenkuh; der Specht/Spechte/das Weibchen/das Männchen usw.
der Majoran, der Baum, der Schnittlauch ...
Genus femininum: die Katze/Katzen/die Katze/der Kater; die Mücke/Mücken/das Männchen/das Weibchen;
die Schlange/Schlangen/das Männchen/das Weibchen usw.
die Kirsche, die Petersilie, die Rose ...
Genus neutrum: das Kind/Kinder/der Junge/das Mädchen; das Rind/Rinder/die Kuh/der
Stier bzw. Ochse; das Pferd/Pferde/die Stute/der Hengst usw.
das Gänseblümchen, das Gras, das Kraut ...
Gute Beispiele für die notwendige Unterscheidung zwischen Genus und Sexus sind bei der Spezies Mensch „die Person“ und „der Mensch“. Das Genus ist femininum bzw. maskulinum, aber es sind natürlich alle Geschlechter eingeschlossen. Niemand (außer Sprachaktivistinnen?) käme auf die Idee, dass mit „Personen“ nur Frauen und mit „Menschen“ nur Männer gemeint sein könnten. Ebenso bei „das Individuum“, das vom Genus her neutrum ist, aber natürlich alle Individuen aller Geschlechter bezeichnet.
Weitere Beispiele für generisches Femininum:
Femininum: die Person, die Persönlichkeit, die Geisel, die Gestalt, die Waise, die Leiche, die Majestät ...
Auch hier sind nicht ausschließlich Frauen gemeint, und niemand ist „mitgemeint“ oder wird „unsichtbar gemacht“, sondern die Begriffe umfassen alle Personen mit den entsprechenden Merkmalen.
Bei den generischen Neutra ist das ohnehin klar:
Neutrum: das Genie, das Opfer das Individuum, das Phänomen (für Personen), das Wunderkind ...
Für die Nichtübereinstimmung von Genus und Geschlecht ist „Geschwister" ein besonders anschaulicher Fall: grammatikalisch ein Neutrum, vom Wortstamm her weiblich und in der Bedeutung sexusneutral. Es wäre unsinnig zu fordern, es z. B. in Gesetzestexten im Zuge des allgemeinen Genderns zu ersetzen mit „Geschwister und Gebrüder“, denn die Gebrüder sind in den Geschwistern mitenthalten. So ergibt etwa der Satz „Die Ehe zwischen Geschwistern und Gebrüdern (oder auch: zwischen Schwestern und Brüdern) ist untersagt" keinerlei Sinn. (Den Hinweis verdanke ich A. Brühlmeier.)
Fazit: Gendern geht in einigen Fällen gar nicht, weil die Wörter nicht auf den Sexus bezogen werden können.
Mir ist bewusst, dass die von mir angeführten Beispiele ?NN? Belege für schlechtes Gendern sind. Ich führe sie trotzdem an, weil ich zeigen möchte, dass konsequente Anwendung zu großem Unsinn führt:
der Mensch ?die Menschin? Menschen ?Mensch*innen?
die Person ? Personen ?
Deutsche ?Deutsch*innen? der Vormund ?
der Laie ?die Laiin? Laien ?Lai*innen?
der Star ?die Starin? der Gast ?die Gastin/Gästin?
das Mitglied ?Mitglieder*innen? die Leiche ?
der Bösewicht ? der Nichtsnutz ?
der Schatz ? der Dummkopf ?
die Autorität ? die Persönlichkeit ?
das Model ? das Luder ?
der Kumpel die Kumpeline (!) Müllers sind Schweizer Müllers sind ?Schweizer*innen?
(Ein schönes Beispiel für originelles Gendern
ist die „Kumpeline“ aus dem alten DDR-Wortschatz.)
Die folgende Zusammenstellung zeigt, dass die existierenden Formen der deutschen Sprache eine angemessene Ansprache aller Personen unterschiedlichen Geschlechts erlauben:
- Bei einzelnen Personen: „der/ein Wähler“ (m), „die/eine Wählerin“ (f)
- Bei mehreren Personen beiderlei Geschlechts: „die Wähler“(m) und/oder „die Wählerinnen“ (f), in der Anrede: „Liebe Wählerinnen und Wähler ...“
- Bei unbestimmer Anzahl von Personen und bei unbekannter Verteilung der Geschlechter wird das generische Maskulinum verwendet: „der Wähler“, „die Wähler“, „Wähler“
Beispielsätze:
„Der Wähler hat gesprochen.“, „Wähler sind manchmal unberechenbar.“, „Die Wähler werden aufgefordert, die Kabinen zu benutzen.“
aber auch die Beidnennung ist akzeptabel: „Die Wählerinnen und Wähler werden aufgefordert …“, wenn ausdrücklich gemischtgeschlechtliche Gruppen angesprochen sind. Eigentlich ist die Beidnennung nicht notwendig, aber ich betrachte sie in der direkten Anrede (und nur dort!) als Geste der Wertschätzung.
Wo liegt hier das Problem?
Der Zankapfel ist seit den Anfängen des Genderns das generische Maskulinum.
Die feministischen Sprachwissenschaftlerinnen und die Befürworter des Genderns behaupten, im generischen Maskulinum „die Wähler“, „(der) Wähler“, „Wähler“ würden die Frauen „unsichtbar gemacht“. Das geht bis zur Behauptung, die Sprache „vergewaltige“ die Frauen. Bei einem Ausdruck wie „die Wähler“ würden (ausschließlich) Männer angesprochen, die Frauen würden lediglich „mitgemeint“. Die Sprachaktivistinnen wirken deshalb darauf hin, dass zukünftig von Wählenden (oder Wähler*innen) gesprochen wird. In der substantivierten Partizipform „Wählende“ oder mit dem Gender-Stern seien alle Geschlechter (m,w,d) angesprochen.
Diese Sichtweise ist aber nur nachvollziehbar, wenn man wenig Wissen über das Sprachsystem und die Gender-Brille (s u.) auf der Nase hat.
Der feministische Sprachaktivismus, der Mainstream-Feminismus und insbesondere die Gender-Theorie in Form des Gender-Mainstreaming haben in den letzten Jahren die Wahrnehmung einiger Aktivistinnen (und ihrer Nachahmer) so verändert, dass sie im generischen Maskulinum ein Feindbild sehen, das bekämpft werden muss. Genus wird mit Sexus gleichgesetzt, so dass alles, was an der Sprache irgendwie „männlich“ klingt oder aussieht, abgelehnt wird. Das ist eine schon fast zwanghaft zu nennende Fixierung auf das Geschlecht. Ich nenne diese Verschiebung der Wahrnehmung „Gender-Brille“.
Sprachwissenschaftlich gesehen sind generische Pluralformen wie z. B. „die Wähler“ oder Sammelbegriffe wie „(der) Wähler“ im Hinblick auf den Sexus neutral. Es sind Sammelformen, sie bezeichnen einfach nur Personen, die wählen. Es werden weder Frauen noch Männer „gemeint“ oder „mitgemeint“, sondern alle Menschen/Personen sind eingeschlossen, unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht.
Für die generischen Formen werden im Deutschen alle drei Genera (s. o.) verwendet.
Beispiele:
Der Mensch, die Menschen, Menschen (generisches
Maskulinum)
Die
Person, die
Personen, Personen (generisches Femininum)
Das Individuum, die Individuen, Individuen (generisches Neutrum)
Dass die generischen Formen im Maskulinum mit den sexusbezogenen Formen verwechselt werden können, liegt daran, dass im Deutschen gleichlautende Wörter (Homonyme) in unterschiedlichen grammatischen Funktionen verwendet werden.
Beispiele:
„Der Mann“ und „der Frau“
„der“ bei „der Mann“ ist z. B. der Marker für Nominativ, Singular, maskulinum. Es ist aber auch der Marker für Genitiv und Dativ Singular, femininum bei „der Frau“ sowie Genitiv Plural femininum bei „der Frauen“.
„Die Frau“ und „die Männer“
„Die“ ist ein Marker für Nominativ Singular, femininum bei „die Frau“, es ist aber auch der Marker für alle Plural-Formen „die Männer, die Frauen, die Kinder …“
Fazit: Die generischen Formen müssen von den sexusbezogenen Formen unterschieden werden, obwohl (oder gerade weil) sie Homonyme sind und gleich klingen. Mit den generisch gebrauchten Formen "Wähler" oder „der Wähler“ oder „die Wähler“ sind weder Männer noch Frauen gemeint, sondern alle Personen, die wählen, es sind sexusneutrale Sammelformen. „Der Wähler“ kann allerdings in bestimmten Kontexten auch ausschließlich auf einen Mann bezogen werden. Dann ist es eine sexusbezogene Form.
Das Missverständnis der Sprachfeministinnen liegt darin begründet, dass sie Sexus und Genus nicht unterscheiden wollen oder können. Sie müssten dazu die Gender-Brille absetzen, was sie aber nicht tun.
Dass im Deutschen das generische Maskulinum als Standardform verwendet wird, ist nicht der Bosheit der Männer oder "dem Patriarchat" geschuldet, sondern es hat sich sprachgeschichtlich so entwickelt und wurde von den Sprecherinnen und Sprechern des Deutschen als sprachökonomisch pratikabel empfunden. Der sprachfeministische Vorwurf, die Frauen würden im generischen Maskulinum unterdrückt und „unsichtbar“gemacht“, läuft bei Licht betrachtet ins Leere.
Für die Ansprache von Frauen stehen im Deutschen eigene abgeleitete Formen bereit: „Wählerin“ kann nur „weibliche Person, die wählt“, bedeuten, weil das zugrunde liegende Wort „Wähler“ „Person, die wählt“, bedeutet und nicht „männliche Person, die wählt“. Der Vorwurf, die Frauen würden im generischen Maskulinum „unsichtbar“gemacht“, läuft bei Licht betrachtet ins Leere.
Ein Beispiel dafür, wie das generische Maskulinum als sexusneutrale Sammelform funktioniert:
Eine Zeitung schreibt:
a) „Heute wenden wir uns an unsere Leser.“
b) „Heute wenden wir uns an unsere männlichen Leser.“
c) „Heute wenden wir uns an unsere weiblichen Leser.“ oder
d) „Heute wenden wir uns an unsere Leserinnen.“
Das Beispiel zeigt, dass die Sätze b) und c) nur Sinn ergeben, wenn mit dem generischen Maskulinum „Leser“ in Satz a) alle angesprochen sind, unabhängig vom biologischen Geschlecht. Wenn Männer gemeint sein sollen, muss eine Markierung „männlich“ hinzugefügt werden. (Auch der Ausdruck „weibliche Leser“ ist nur so sinnvoll.) Wenn die Redaktion mit Satz a) nur die Männer gemeint hätte, wäre die Kommunikation mit den Lesern gescheitert. Bei Satz d) sind wie bei c) nur die Frauen angesprochen.
Eine Möglichkeit, das Problem bei diesem Beispiel zu umgehen, wäre die Beidnennung, die zwar eigentlich nicht notwendig ist, aber Respekt signalisiert:
e) „Heute wenden wir uns an unsere Leserinnen und Leser.“ Dieses „Leser“ ist keine generische Form, sondern eine sexusbezogene Form, mit der eindeutig Männer bezeichnet sind.
In der geschriebenen, gegenderten Sprache sind mehrere Gender-Varianten im Umlauf:
Wähler/innen, WählerInnen, Wähler_innen, Wähler*innen, Wähler:innen, Wählx, Wählens ...
Am Anfang war das Binnen-I, das aber inzwischen anderen Schreibweisen (s. o.) gewichen ist. Mit *_: etc. sollen nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Personen angesprochen werden, die sich nicht-binär definieren. Mein Standpunkt dazu: Nicht-binäre Personen haben alle Rechte nach Artikel 3 GG (Gleichberechtigung, Respekt, Recht auf Nicht-Diskriminierung), aber sie können nicht den Anspruch erheben im Sprachsystem repräsentiert zu sein. Das führt zu Widersprüchen, unnötigen Komplikationen und sprachlichem Unsinn.
Diese Schreibweisen sind überdies streng genommen Verstöße gegen die deutsche Rechtschreibung. Ein Problem ist auch die Aussprache. Wie sollen z. B. der Gender-Stern, das Binnen-I, der Doppelpunkt, der Gender-Gap oder das x gesprochen werden? Nehmen die Befürworter des Genderns im Ernst an, dass sich bei der Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher der deutschen Sprache der stimmlose glottale Verschlusslaut für die Aussprache des Gender-Sterns oder des Gender-Gaps durchsetzen werden?
Ein Streitfall sind auch einige Pronomen wie „jeder“, „keiner“, „jemand“, niemand“, „man“, „jedermann“ usw. Auch bei ihnen unterstellen die Sprachaktivistinnen, es seien nur Männer damit angesprochen. Das ist nicht der Fall, es sind Sammelformen, deren „männliche“ Formen der Sprachökonomie geschuldet sind. Das Geschlecht spielt keine Rolle, wenn ich sage: „Keiner ist gekommen.“ oder „Man sieht sich.“ oder „Da kommt jemand.“ Mehr zum besonders inkriminierten Indefinitpronomen „man“ unter https://grammis.ids-mannheim.de/progr@mm/5204
Es hat sich in Sachen Emanzipation von Männern und Frauen in den letzten Jahrzehnten erfreulicherweise viel verändert. Die Sprache wird diesen Veränderungsprozess dann über den Gebrauch mit der Zeit abbilden. Wie das konkret geschehen wird, ist offen. Für den Sprachwandel von unten braucht es jedenfalls keine feministische Sprachpolitik von oben.
Fazit:
Dass Sprachaktivistinnen das generische Maskulinum bekämpfen
- offenbart Unkenntnis der sprachlichen Grundtatsachen,
- hat keine sprachwissenschaftliche Grundlage,
- baut überflüssigerweise falsche Fronten auf,
- führt zur Spaltung der Sprachgemeinschaft und
- ist für die Sache der Frauen kontraproduktiv.
Leider geschieht es im Eifer des Gefechts allzu häufig, dass nicht nur das generische Maskulinum als Feindbild aufgebaut wird, sondern die Männer oder alles Männliche gleich mit. Dann wird es vollends ideologisch. Ich stelle mir dann allerdings die Frage, ob es die feministischen Aktivistinnen für möglich halten, männerverachtend zu sein, ohne gleichzeitig menschenverachtend zu sein.
2. Sprechen und Denken – ein komplexer Zusammenhang
Das Verhältnis von Sprache und Bewusstsein oder Sprechen und Denken ist eins der schwierigsten Kapitel der Sprachphilosophie und der Psycholinguistik. Eine Untersuchung und vorläufige Beantwortung der Frage, wie Sprechen und Denken zusammenhängen, ist aber wesentlich sowohl für das Gendern wie auch die Kritik daran. Das Problem ist, dass sich die relevanten Vorgänge im Gehirn abspielen und dass sie dort behandelt werden als black-box-Phänomene, wie das die Hirnforschung generell tun muss, auch wenn sie inzwischen raffinierte bildgebende Verfahren entwickelt hat.
Meine Kritik an den Sprachaktivistinnen ist, dass sie den Zusammenhang zwischen Sprache/Sprechen und Bewusstsein/Denken unzulässig vereinfachen und damit die wahren Faktoren des Sprachwandels verkennen.
Die Gender-Theorie sowie die Sprachaktivistinnen unterstellen einen unmittelbaren, manchmal sogar linearen Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken nach dem Muster: Die Sprache beeinflusst das Denken, also müssen wir die Sprache ändern, damit sich das Denken ändert. Deshalb kann überhaupt erst die Idee aufkommen, dass über feministische Sprachpolitik (Gendern) ein neues Denken (in Richtung mehr Geschlechtergerechtigkeit) gefördert werden könnte. Sie treiben damit die Sapir-Whorf-Hypothese auf die Spitze, eine Theorie, die schon längst nicht mehr Stand der Forschung ist und nur noch in modifizierter Form Gültigkeit beanspruchen kann. Die Macht der Sprache wird überbewertet, es sind schon fast sprachmystische Vorstellungen im Spiel. Interessant dazu das Video von Philipp Hübl „Macht und Magie der Sprache“ https://www.youtube.com/watch?v=7Hw-hWtix8E
Der Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken ist bei genauerer Betrachtung wesentlich komplexer, als die Sprachaktivistinnen suggerieren. Die Beeinflussung ist mindestens eine wechselseitige. Die Sprache beeinflusst das Denken – das Denken (und noch mehr die gesellschaftlichen Realitäten sowie die kommunikativen Erfordernisse) beeinflussen die Sprache. Unsere Sprache bildet die Welt ab, wie wir sie wahrnehmen. Sie ist ein wesentlicher Teil unseres Modells von der Welt. Sie ist Mittel der Verständigung und Quelle von Missverständnissen, sie ruft Gefühle und Bilder hervor, sie lenkt unsere Assoziationen.
Die sprachliche Verpackung eines Sachverhaltes („framing“) spielt für die Akzeptanz einer Sache eine große Rolle. „Framing“ ist z. B. in der Werbung und in der Politik ein zentrales Mittel zur Beeinflussung der Adressaten.
Framing ist auch, die gegenderte Sprache „gerecht“, „sensibel“ oder „inklusiv“ zu nennen. Damit wird signalisiert, dass die ungegenderte Sprache „ungerecht“, „unsensibel“ und „exklusiv“ ist. Die implizite Botschaft ist: „Gendern ist gut, nicht gendern ist schlecht“. Adjektive bzw. Eigenschaften wie „gerecht“ kommen aber nicht der Sprache (langue) zu, sondern der Sprachverwendung (parole) und den Menschen, die sprechen. Jemand, der korrekt gendert, kann sich ungerecht, unsensibel und ausgrenzend verhalten, während jemand, der nicht gendert, sich respektvoll verhalten kann.
Es ist unbestritten, dass es mannigfache Versuche gegeben hat und gibt, Menschen durch Sprachvorschriften und Sprechverbote zu lenken und zu manipulieren. Diese Versuche beschränken sich aber meist auf totalitäre Systeme, die glaub(t)en, sie könnten die Menschen kontrollieren, wenn sie die Sprache kontrollieren. Das kann auch funktionieren, jedenfalls solange die totalitären Systeme genug Druck aufbauen.
Von sprachaktivistischer Seite werden oft Befragungen oder Assoziationsstudien ins Feld geführt, die zeigen sollen, dass bestimmte Begriffe ausschließlich oder überwiegend männlich konnotiert sind. Daraus wird dann der Schluss gezogen, dass die Sprache durch Zusatzzeichen wie Doppelpunkt, Innen, /innen,*,x, a etc. oder durch die Verwendung des „generischen Femininums“ als Standardform „verweiblicht“ werden müsse. Dass bei generisch maskulinen Ausdrücken wie Ingenieure, Ärzte, Experten, Forscher etc. vorwiegend Männer assoziiert werden, liegt jedoch nicht an der Sprache oder der Boshaftigkeit der Männer, sondern an den historisch entstandenen (aktuellen) Realitäten. Das wird sich erst dann ändern, wenn sich die Realitäten ändern, wenn also Frauen in nennenswerter Anzahl zum Beispiel den Ingenieursberuf ergreifen. Bei Putzkraft, Erzieher, Hebamme, Küchenpersonal etc. werden fast immer Frauen assoziiert. Auch das wird sich nur ändern, wenn mehr Männer sich zum Beispiel für den Erzieherberuf entscheiden.
Es ist naiv, zu glauben, dass mehr junge Frauen den Ingenieursberuf wählen, wenn von „Ingenieur*innen“ die Rede ist statt von „Ingenieuren“. Dazu sind ganz andere Voraussetzungen nötig, nämlich nachhaltiges Interesse an Mathematik, Naturwissenschaften und Technik.
Die Sprache wird sich dann ändern, wenn eine Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher eine Änderung für nötig und praktikabel hält. Sie verändert sich nicht durch wie auch immer motivierte Eingriffe, Vorschriften oder Empfehlungen von oben, sondern durch den alltäglichen Sprachgebrauch. Nicht alle Veränderungen setzen sich durch, manche verschwinden auch wieder. Festzuhalten ist, dass neue Formen der Sprachverwendung auf Grund von Veränderungen in der gesellschaftlichen Realität entstehen.
Das Internet als neue Technologie hat zum Beispiel in kurzer Zeit eine Menge neuer Begriffe hervorgebracht: googeln, downloaden, scannen, bloggen usw.
Auf der lexikalischen Ebene ist das relativ unproblematisch. Diese Begriffe werden wahrscheinlich in kurzer Zeit zu ganz selbstverständlichen Bestandteilen der deutschen Sprache werden. Auf der grammatischen Ebene und der Ebene des Sprachsystems ist der Sprachwandel wesentlich komplizierter.
Die Annahme, dass gegenderte Sprachformen zu einem Umdenken in Richtung Gendertheorie führen würden, ist ein Ausdruck von Wunschdenken. Was sich in unseren Gehirnen beim Hören und Verwenden gegenderter Sprachformen (wie z. B. „Wähler*innen“) abspielt, lässt sich empirisch nur schwer fassen. Es nützt nichts, Hirnströme zu messen und zu interpretieren. Man kann nur Hypothesen aufstellen und sie durch repräsentative Befragungen überprüfen.
Etwa so:
- Ein Teil der Sprecherinnen und Sprecher hat eine positive Einstellung zum Gendern und wird ‚Wähler*innen‘ als Bestätigung der eigenen Einstellung interpretieren.
- Ein Teil wird denken: Ist mir doch total egal.
- Ein anderer Teil wird achselzuckend darüber hinweggehen und denken: Was ist denn das für ein seltsamer Rechtschreibfehler?
- Wieder ein anderer Teil fühlt sich durch den Gender-Stern provoziert und ärgert sich über die Misshandlung der Sprache durch die Sprachaktivistinnen.
Dazwischen und daneben gibt es wahrscheinlich noch eine ganze Reihe anderer Reaktionen.
Repräsentative Umfragen ergeben, dass eine Mehrheit von durchschnittlich 60% bis 80% der Sprecherinnen und Sprecher des Deutschen das Gendern ablehnt, 15-20% ist es egal, und ca. 10% wenden es mehr oder weniger konsequent an.
Warum also die Aufregung, und warum mein Engagement gegen das Gendern? Ich mache meine Kritik am Gendern öffentlich, weil ich den Eindruck habe, dass es in Parteien, Universitäten, Verwaltungen auf Grund moralischen und politischen Drucks ungehindert um sich greift, ohne dass seine politische Legitimation, seine wissenschaftliche Basis und seine gesellschaftliche Sinnhaftigkeit breit diskutiert worden wären. Mich ärgert zudem, dass sich die Sprachaktivistinnen meist der Sachdiskussion entziehen und sich auf ihr Framing und ihre „richtige“ Gesinnung berufen. Das finde ich intellektuell unredlich.
3. Gendern macht die deutsche Sprache komplizierter und nicht schöner
Ein Angestellter des Baseler Gesundheitsdepartements protokolliert die Sitzung eines Ausschusses und liefert folgenden Text ab (Auszug):
„Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer ‚Rolle des Verantwortungstragens‘ (Arzt) von einer ‚Rolle des Sich-Anvertrauens und Sich-Unterordnens‘ (Patient) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der Patient Entscheidungen in Bezug auf seine Gesundheit trifft. Damit wird der ‚beratende Arzt‘ zum entscheidenden Arzt. In bestimmten Situationen hat der Patient und der Arzt natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines Bewusstlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom Arzt empfohlener Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der mündige Patient in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der unmündige Patient seine Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne dass er durch zwingende Gründe daran gehindert würde.“
Das ist ein recht sperriger Text, wie er in Verwaltungen und Behörden jedoch an der Tagesordnung ist, er ist aber noch einigermaßen verständlich. Der Protokollant hat selbstverständlich die generischen Formen benutzt:
der Arzt, die Ärzte, Ärzte
= Menschen, die den Arztberuf ausüben, Sexus spielt keine Rolle
der Patient, die Patienten, Patienten
= Menschen, die in ärztlicher Behandlung sind, Sexus spielt keine Rolle
der Bewusstlose, eines Bewusstlosen
= Mensch, der das Bewusstsein verloren hat, Sexus spielt keine Rolle
Nach kurzer Zeit bekommt er den Text zurück mit der Anweisung: „In dieser Behörde wenden wir laut Beschluss vom Soundsovielten die geschlechtergerechte Sprache an. Bitte benutzen Sie die aktuellen Gender-Anweisungen!“
Der Angestellte grummelt vor sich hin, aber er setzt sich an seinen Schreibtisch, kramt die Anweisungen hervor, und nach geraumer Zeit entsteht folgender Text:
„Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer ‘Rolle des Verantwortungstragens’ (Arzt/Ärztin) von einer ‘Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens’ (Patient/in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der der/die Patient/in Entscheidungen in Bezug auf seine/ihre Gesundheit trifft. Damit wird der/die ‘beratende Arzt/Ärztin’ zum/zur ‘entscheidenden Arzt/Ärztin’. In bestimmten Situationen haben der/die Patient/in und der/die Arzt/Ärztin natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines/einer Bewusstlosen). Doch bereits die Entscheidung, ob ein vom/von der Arzt/Ärztin empfohlener Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der/die mündige Patient/in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der/die unmündige Patient/in seine/ihre Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne dass er/sie durch zwingende Gründe daran gehindert würde.“ (zit. Nach A. Brühlmeier, Sprachfeminismus in der Sackgasse, Deutsche Sprachwelt, 2009, http://www.bruehlmeier.info/sprachfeminismus.htm )
Bei diesem zweiten Text handelt es sich um das Original des Protokolls!
Ich habe bewusst ein Textbeispiel aus einer Behörde ausgewählt, weil dort (und nicht nur in Basel!) die Frauen- bzw. „Gleichstellungs“-Beauftragten die Deutungshoheit über die Sprache und das Sprechen übernommen haben. Dasselbe gilt für Universitäten, Kirchen, Gewerkschaften und manche Parteien. Die sprachaktivistische Lobby hat es geschafft, die Kritiker und Verweigerer des Genderns in diesen Institutionen in den moralischen Schwitzkasten zu nehmen und mit Sanktionen zu drohen. Hätte der Angestellte das Gendern verweigert, wäre er mindestens abgemahnt worden. Er wäre von Kolleginnen geschnitten worden, und wahrscheinlich hätte man ihm Etiketten wie „frauenfeindlich“, „reaktionär“, „gestrig“ aufgeklebt, vielleicht sogar „rechts“. Das ist alles nicht strafbar, aber es vergiftet die Atmosphäre und den Diskurs.
Als Kritiker des Genderns habe ich folgende Fragen dazu:
- Liest sich dieser Text noch flüssig? Animiert er zum Lesen? (Machen Sie einen Versuch!)
- Können Menschen, die mit der Sprache Schwierigkeiten haben, diesen Text einigermaßen lesen und verstehen? (Machen Sie einen Versuch und lassen Sie einen bildungsfernen Menschen den Text lesen!)
- Ist ein solcher Text für Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist oder die gerade Deutsch lernen, ansprechend? (Machen Sie den Versuch und legen Sie den Text einem Menschen vor, der gerade Deutsch lernt!)
- Worin besteht hier der Gewinn für mehr Geschlechtergerechtigkeit? (Machen Sie einen Versuch und fragen Sie Menschen auf der Straße!)
Nun ist die Baseler Gender-Variante nicht die einzige, die im Umlauf ist, sie ist auch schon etwas älter. Je nachdem, welche Aktivismus-Fraktion man befragt, gibt es zurzeit andere Formen des Genderns (Gender-Stern, Gender_Gap, Binnen-I, Doppelpunkt, (-innen), /-innen, x usw.). Die aktuellste und „geschlechtergerechteste“ würde wahrscheinlich so aussehen:
„Bereits die mildeste und häufigste Form der Trennung einer ‚Rolle des Verantwortungstragens‘ (Ärzt*in) von einer ‚Rolle des sich-Anvertrauens und sich-Unterordnens‘ (Patient*in) reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der die Patient*innen Entscheidungen in Bezug auf ihre Gesundheit treffen. Damit wird der/die ‚beratende Ärzt*in‘ zum/zur entscheidenden Ärzt*in. In bestimmten Situationen hat der/die Patient*in und der/die Ärzt*in natürlich keine andere Wahl (zum Beispiel bei einer Notfallbehandlung eines*r Bewusstlos*en). Doch bereits die Entscheidung, ob ein von dem/der Ärzt*in empfohlender Wahleingriff durchgeführt werden soll, will der/die mündige Patient*in in Eigenverantwortlichkeit selbst treffen. Demgegenüber nimmt der/die unmündige Patient*in iseine/hre Eigenverantwortlichkeit nicht wahr, ohne dass er/sie durch zwingende Gründe daran gehindert würde.“
Ich habe diese Variante erfunden. Ich bitte alle Sprachaktivistinnen, mich zu beraten, wie denn die richtige (oder eine richtigere) Form auszusehen hätte. Außerdem bitte ich um eine Sprachnachricht, damit ich hören kann, wie das Ganze klingt, wenn es vorgelesen wird.
Fazit: Gendern macht die deutsche Sprache nicht „gerechter“, sondern komplizierter und nicht schöner. Sprachökonomie und Sprachästhetik werden der feministischen Agenda untergeordnet. Wenn ich das in Diskussionen äußere, bekomme ich zur Antwort: „Du wirst dich daran gewöhnen müssen.“ Meine Antwort: „Nein, ich werde mich nicht daran gewöhnen. Und schon gar nicht müssen.“
Die Initiative „genderleicht“ (https://www.genderleicht.de/), die vom Frauenministerium finanziert wird, vertritt eine Kompromisslinie, was das Gendern angeht. Sie hat mir auf Anfrage für den obigen Text folgenden Vorschlag gemacht:
„Patienten und Patientinnen, die in Bezug auf Ihre Gesundheit Entscheidungen treffen müssen, ordnen sich in dem Moment, wo sie sich in ärztliche Behandlung begeben, gewissermaßen unter. Dies reduziert die Eigenverantwortlichkeit, mit der Entscheidungen in Bezug auf die Gesundheit getroffen werden. Denn Ärzte und Ärztinnen werden in einer Rolle des Verantwortungstragens wahrgenommen. Sie beraten nicht nur, sondern entscheiden somit auch. In bestimmten Situationen, z. B. bei einer Notfallbehandlung einer bewusstlosen Person, gibt es keine andere Möglichkeit. Doch bereits die Entscheidung, ob ein ärztlich angeordneter Wahleingriff durchgeführt werden soll oder nicht, wollen mündige Patienten und Patientinnen selbst und in Eigenverantwortung treffen. Wer dagegen ohne zwingenden Grund zur Unmündigkeit verdammt ist, nimmt Eigenverantwortlichkeit nicht wahr.“
Das ist für mich eine akzeptable Lösung: Elegantere Formulierungen plus Gendern light mit gut dosierten Beidnennungen bei der direkten Ansprache. Darauf kann sich eine Sprachgemeinschaft auf Dauer verständigen. Ich kann nur hoffen, dass sich solche praktikablen Formen des Genderns durchsetzen. Dann würde ich es aber nicht mehr „Gendern“ nennen, sondern „angemessene und respektvolle Ansprache aller“.
4. Gendern ist grammatisch zum Teil widersinnig
Am Studentenhaus der Frankurter Universität ist die alte Aufschrift durch eine neue ersetzt worden. Das Studentenhaus heißt jetzt offiziell „Studierendenhaus“, weil sich nach Meinung der Sprachaktivistinnen im Begriff „Studenten“ angeblich nicht alle Geschlechter wiederfinden können. Das „Studentenwerk“ heißt neuerdings „Studierendenwerk“. Es fällt auf, dass die Akteure solcher Spracheingriffe in der Regel im Dunkeln bleiben. Man erfährt nichts über Namen und Verantwortlichkeiten, sondern verweist auf Gremienbeschlüsse.
Die Umbenennung wirft jedoch nicht nur politische, sondern auch grammatische Fragen auf. „Student“ bezeichnet einen Status, „studierend“ eine Tätigkeit. Ist die substantivierte Partizip-Form „Studierende“ bedeutungsgleich mit dem Nomen „Studenten“? Bedeutet „Studierendenbewegung“ dasselbe wie „Studentenbewegung“? Ich zum Beispiel bin ein Studierender, ohne Student zu sein. Auf der anderen Seite wäre es schön, wenn alle Studenten auch Studierende wären. Ebenso sind „Schüler“ nicht automatisch „Lernende“, oder wollen wir sie in Zukunft „zu Beschulende“ nennen?
Was ist mit
Studentenkneipe ?Studierendenkneipe?
Studentenausweis ?Studierendenausweis?
Studentenfutter ?Studierendenfutter?
Studentenwohnheim ?Studierendenwohnheim?
Studentenermäßigung ?Studierendenermäßigung?
In der Wohnung lagen zwei tote Studierende? Oper ‚Der Bettelstudierende‘?
Besondere Probleme bereitet das Adjektiv „studentisch“: Soll daraus „studierendisch“ werden?
Wie sieht es mit der Verallgemeinerbarkeit dieser Neuregelung aus? (Endung -enten)
Dozenten ?Dozierende? Dezernenten ?Dezernierende?
Dissidenten ?Dissidierende? Konsumenten ?Konsumierende?
Abonnenten ?Abonnierende? Delinquenten ?Hinzurichtende?
Agenten ?Agierende? Klienten ?
Bei Absolventen wird das Problem besonders deutlich. Das haben auch die Sprachaktivistinnen gemerkt und in ihren Gender-Ratgebern (https://geschicktgendern.de/) nicht etwa ?Absolvierende? vorgeschlagen, was offensichtlicher Unsinn gewesen wäre, sondern „einen Abschluss innehabende Personen“. Konsequenterweise hätten die Studenten statt „Studierende“ dann „an einer Universität eingeschriebene Personen“ genannt werden müssen. Das wäre zwar korrekt, aber kein guter Ersatz für Studenten und sicher kein Gewinn für die deutsche Sprache.
Man stelle sich folgenden (fiktiven und ungegenderten) Bericht aus einer Studenten-Zeitung vor:
„Eine große Zahl von Jurastudenten und Studentenvertretern des Fachbereichs Jura beglückwünschten im großen Saal des Studentenhauses die frischgebackenen Absolventen des Jahrgangs 2020 im Namen der Absolventen des Jahrgangs 2019. Neben den Jurastudenten waren auch Studenten anderer Fachbereiche anwesend, ebenso die Dekanin, Frau Prof. Dr. Ziegenhals, sowie ihr Stellvertreter, Herr Prof. Dr. Schwall.“
Die Universität Leipzig hat das „generische Femininum“ als Standardform eingeführt mit der Begründung, dass mehr weibliche als männliche Studenten eingeschrieben sind. (Würde man nach diesem Prinzip verfahren, dann würde man z. B. im Reinigungs- und Pflegebereich weibliche Pluralformen (nicht generische Feminina!) verwenden, bei der Müllabfuhr und der Feuerwehr aber das generische Maskulinum. Schöne neue Gender-Welt?)
Auf Leipziger Art gegendert sähe der Text folgendermaßen aus:
„Eine große Zahl von Jurastudierenden und Studierendenvertreterinnen des Fachbereichs Jura beglückwünschten im großen Saal des Studierendenhauses die frischgebackenen einen Abschluss innehabenden Personen des Jahrgangs 2020 im Namen der einen Abschluss innehabenden Personen des Jahrgangs 2019. Neben zahlreichen Jurastudierenden waren auch Studierende anderer Fachbereiche anwesend, ebenso die Dekanin, Frau Professorin Doktorin Ziegenhals, sowie ihre Stellvertreterin, Herr Professorin Doktorin Schwall.“
Der Haupteinwand gegen das Leipziger Femininum ist ein sprachwissenschaftlicher: Die von der generisch männlichen Form abgeleitete weibliche Form zum „generischen Femininum“ (das, wie oben gezeigt, etwas ganz anderes ist) zu erklären, ist sachlich falsch und sinnwidrig. Dass so etwas an einer Universität Platz greifen kann, ist ein Armutszeugnis.
Hier werden Sprachökonomie und Sprachästhetik, teilweise sogar die Logik einer feministischen Agenda untergeordnet. Und ich frage noch einmal:
Wo liegt hier der Gewinn für mehr Geschlechtergerechtigkeit?
Das alte Wort „Lehrling“ ist schon lange durch „Auszubildender“ oder „Azubi“ ersetzt worden, weil alle Nomen mit der Endung -ling im generischen Maskulinum stehen und weil diese Endung nach Ansicht der Sprachaktivisten eine Abwertung (?) ausdrückt. (Man kann sich darüber streiten, ob „Auszubildender“ ein Gewinn für die deutsche Sprache ist.)
Auch hier gibt es Probleme bei der Übertragung auf andere Wörter mit -ling:
Säugling ?zu Säugende/r, Saugende/r? Zögling ?
Liebling ?zu Liebende/r? Nützling ?
Feigling ? Häftling ? Schädling ?
Erstling ? Eindringling ? Emporkömmling ?
Lüstling ? Häuptling ? Schmetterling ?
Günstling ? Neuling ? Flüchtling ?Füchtender?Geflüchtete/r?
Alle Tätigkeits- und Berufsbezeichnungen mit der Endung -er stehen im generischen Maskulinum. Konsequentes Gendern mit Hilfe der substantivierten Partizipformen führt zu seltsamen Gebilden, die nur mit Gender-Brille und unter Ausschaltung des Sprachgefühls akzeptabel sind. Der Einwand, man „gewöhne sich daran“ und der „Zugewinn an Geschlechtergerechtigkeit“ rechtfertige den Mehraufwand, zieht nicht.
Fahrer ?Fahrende? ?Die LKW-Fahrenden machen Pause?
Fahrradfahrer ?Fahrradfahrende? ?Zwei Fahrradfahrende kamen zur Tür herein?
Fleischer ?Fleischverarbeitende?
Raucher ?Rauchende? Raucherbein ?Rauchendenbein?
Christen ?Christ*innen? Christentum ?Christ*innentum?
Redner ?Redende? ?Redner*innen? Sprecher ?Sprechende?
Bauern ?Bauer*innen, Bäuer*innen? Metzger ?Metzgende?
Bürger ?Bürgende? ?Bürger*innen? Bäcker ?Backende
Meister ?Meisternde? ?Meister*innen? Bläser ?Blasende?
Sie übt den Beruf des Feinmechanikers (der Feinmechanikerin?) aus.
Auch Frauen können Helden (Heldinnen?) sein
Wortzusammensetzungen werden zum Problem: Werden dann aus den Bürgermeistern Bügermeister*innen oder gar Bürger*innenmeister*innen? Aus Bürgermeisterwahlen Bürgermeister*innenwahlen? Oder aus dem Einwohnermeldeamt ein Einwohner*innenmeldeamt? Werden Schülerdemonstrationen zu Schüler*innendemonstrationen oder bloß zu Schülerinnen- und Schülerdemonstrationen? Wird aus dem Führerschein ein Führendenschein oder Führer*innenschein? Wie gendert man eine Bauernhochzeit? Ständig müssen Ausnahmen geschaffen werden. Das führt zu Unsicherheit und Verwirrung.
Auch Redewendungen sind schwer zu gendern:
Jeder ist seines Glückes Schmied Jede/jeder ist ihres/seines Glückes Schmied*in?
Übung macht den Meister Übung macht den/die Meister*in?
Frauen sind die besseren Autofahrer Frauen sind die besseren Autofahrer*innen?
Die Polizei – dein Freund und Helfer Die Polizei – dein*e Freund*in und Helfer*in?
Getroffener Hund bellt. Getroffene Hündin bellt?
Soldaten sind potenzielle Mörder Soldat*innen sind potenzielle Mörder*innen
Fazit: Es handelt sich um Eingriffe ins Sprachsysstem, die bei konsequenter Anwendung zu Ergebnissen führen, die der Sprachästhetik und der Sprachökonomie zuwiderlaufen.
Bei all diesen Beispielen zeigt sich, dass die Aktivistinnen an der Sprache herumbasteln, ohne Einsicht in das Sprachsystem zu haben. Ihre feministische Agenda macht sie blind gegenüber den sprachlichen Strukturen und Funktionsweisen. Sie führen punktuell neue „genderneutrale“, „gendersensible“, „geschlechtergerechte“ oder „weibliche“ Formen ein und denken über Verallgemeinerbarkeit nicht nach. Sie glauben, durch oberflächliche und undurchdachte Sprachpolitik das Denken der Menschen beeinflussen zu können, und richten dabei ein sprachliches Durcheinander an.
5. Gendern ist ein akademisches Gewächs, es hat mit der Alltagssprache der meisten Menschen nichts zu tun und wird von einer Mehrheit abgelehnt
- Gendern spaltet die Sprachgemeinschaft
Das Gendern der Sprache ist im akademischen Umfeld entstanden und lange Zeit auch dort geblieben. Erst in letzter Zeit wird es durch den Aktivismus von Genderprofessorinnen sowie Frauen- und „Gleichstellungs“-Beauftragten und deren Nachahmer in Verwaltungen, Medien, Parteien verbreitet. Wer gendert, kann sich als Speerspitze des Feminismus und gesellschaftliche Avantgarde fühlen, ohne viel dafür einzusetzen. Mehr noch: Das Gendern ist in einigen Bereichen ein soziales Distinktionsmerkmal geworden. Man grenzt sich dadurch von anderen, weniger „fortschrittlichen“ Sprecherinnen und Sprechern ab und fühlt sich als Sprachvorbild.
Dabei werden sprachwissenschaftliche Befunde und Gegenargumente konsequent ignoriert.
Repräsentative Umfragen zeigen, dass das Gendern von einer kleinen, aber einflussreichen Minderheit propagiert und angewendet wird. Sprecherinnen und Sprecher ohne akademische Vorbildung lehnen es intuitiv ab. Sie haben das Gefühl, dass es nicht zu ihrer Art zu sprechen passt. (Die Ablehnung liegt je nach Befragung und Fragestellung zwischen 60% und 80%, für 10% bis 20% ist es „eher wichtig“, etwa 5% bis 10% wenden es mehr oder weniger konsequent an und etwa 10 bis 20% ist es egal (Ergebnisse einer Umfrage von infratest dimap vom Mai 2021 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/grosse-mehrheit-laut-umfrage-gegen-gendersprache-17355174.html, siehe auch 2.)). Die Frage ist deshalb erlaubt, woher die Befürworter des Genderns die Legitimation nehmen, Vorschriften, Regeln, Empfehlungen herauszugeben und die Verweigerung mit Sanktionen zu belegen.
Dialektsprecherinnen und Dialektsprechern käme es niemals in den Sinn, im Dialekt zu gendern.
Wegen der mangelnden Praktikabilität (Sprachökonomie) müssen Ausnahmen geschaffen werden, zum Beispiel für den juristischen Bereich, was unterschiedliche Sprachwelten schafft und die Verwirrung vergrößert.
Im schlimmsten Fall spaltet das Gendern die Sprachgemeinschaft in solche, die gendern, und solche, die es ablehnen. Es schafft auf diese Weise überflüssigerweise sprachliche, ideologische und soziale Gräben.
- Gendern in der Literatur
Sollen literarische Texte (Gedichte, Erzählungen, Romane) gegendert werden? Sollen bereits geschriebene Texte nachträglich gegendert werden? Ein große Mehrheit der Dichter und Schriftsteller lehnen das ab und halten das Gendern ihrer Texte für eine Zumutung.
Hätte es das Gendern schon zu Goethes Zeiten gegeben, und hätte sich der Dichter dem unterzogen, würde der zweite Absatz des 7. Buches von ‘Dichtung und Wahrheit’ etwa wie folgt lauten:
„In ruhigen Zeiten will jeder/jede nach seiner/ihrer Weise leben, der Bürger/die Bürgerin sein/ihr Gewerb, sein/ihr Geschäft treiben und sich nachher vergnügen; so mag auch der Schriftsteller/die Schriftstellerin gern etwas verfassen, seine/ihre Arbeiten bekannt machen und, wo nicht Lohn, doch Lob dafür hoffen, weil er/sie glaubt, etwas Gutes und Nützliches getan zu haben. In dieser Ruhe wird der Bürger/die Bürgerin durch den Satiriker/die Satirikerin, der Autor/die Autorin durch den Kritiker/die Kritikerin und so die friedliche Gesellschaft in eine unangenehme Bewegung gesetzt.“ (zit. nach A. Brühlmeier, Sprachfeminismus in der Sackgasse, Deutsche Sprachwelt, 2009, http://www.bruehlmeier.info/sprachfeminismus.htm )
Besonders problematisch ist das nachträgliche Verändern von literarischen Texten nach den neuen Regeln der politischen Korrektheit, das von Sprachaktivistinnen gefordert wird. Das bekannteste Beispiel ist die Verwandlung von Astrid Lindgrens „Negerkönig“ in einen „Südseekönig“. Schade, dass wir die Autorin nicht mehr zu dieser „Verbesserung“ ihres Textes befragen können.
Es ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis aus Goethes „Zauberlehrling“ ein diskriminierungsfreier „Zauberauszubildender“ wird.
- Gendern schafft für die deutsche Sprache einen Sonderstatus
Die einzige Sprache, in der versucht wird, systematisch zu gendern, ist zurzeit das Deutsche. Als ich mit meiner italienischen Freundin Carla, die gerade Deutsch lernt, über das deutsche Gendern sprach, lachte sie laut und sagte: „Siete pazzi, voi tedeschi!“ (Ihr seid bescheuert, ihr Deutschen!) Und dann fügte sie noch hinzu: „Che merda!“ (Keine Übersetzung nötig). Carla würde jedem die Augen auskratzen, der es wagen würde, ihr geliebtes Italienisch so zu behandeln.
Hat Carla recht? Sind wir Deutsche bescheuert? Ja und nein. Nicht die Deutschen sind dafür verantwortlich, sondern eine kleine Minderheit aus dem akademischen Umfeld, die der Mehrheit eine feministische Agenda überstülpen will und dabei moralischen und politischen Druck ausübt. Einige willige Helferinnen und Helfer unterstützen sie eifrig, weil sie alle zusammen wenig Ahnung von Sprache, aber dafür umso mehr von „richtiger“ Gesinnung haben. Viele Entscheidungsträger, vor allem Politiker, machen auch aus Opportunismus mit, weil sie es sich mit der Frauenlobby nicht verderben wollen.
Ich wünsche mir, dass in Zukunft vor allem Frauen den Mut haben, sich dem Gendern zu verweigern oder (noch besser) die Sprachaktivistinnen dazu auffordern, in einen Diskurs einzutreten und sich einer fundierten Kritik zu stellen.
Andere Sprachen haben nur zwei Genera (z. B. Französisch, Italienisch). Wer angesprochen ist, wird dort durch entsprechende sprachliche Marker (im Englischen he/she bzw. girlfriend/boyfriend) und den Kontext ausgedrückt. Die Zeitung „The Guardian“ löst das Problem auf pragmatische Weise:
„Zu dem Zeitpunkt, als deutsche Zeitungen und Zeitschriften, vor allem die eher links-progressiven, anfingen, anstatt von „Schauspielern“ von Schauspielern und Schauspielerinnen“, „Schauspielenden“, „Schauspieler_innen“ und „Schauspieler*innen“ zu schreiben, beschloss der Guardian – die englische Zeitung der feministischen Linken – nur noch das Wort „actor“ zuzulassen und „actress“ zu streichen.
In ihren Stilrichtilinien erklären sie bis heute, so wie es viele andere Publikationen tun, dass „actress“ genau wie authoress, comedienne, mageress, lady doctor, male nurse und ähnliche Termini aus einer Zeit kommen, in der Berufe größtenteils einem einzigen Geschlecht offenstanden (meist dem männlichen) Und dass diese gegenderten Berufsbezeichnungen heute, wo die Berufe allen Geschlechtern offenstehen, nicht mehr verwendet werden sollten.
Um es anders zu sagen: Während die Deutschen sich für das permanente Benennen von Geschlechtsunterschieden entschieden haben, haben die Briten sich entschieden, das Anzeigen von Geschlechtlichkeit so weit wie möglich zu vermeiden. Dafür haben sie mit typisch britischer Pragmatik die Form gewählt, die ihre Sprache sowieso als generisch hergibt. Diese Form (eine Sammelform, die sexusneutral ist, P. P.) ist im Englischen, genau wie im Deutschen, identisch mit der (grammatisch!, P. P.) männlichen Form, im Deutschen wird sie durchaus kritisch als generisches Makulinum bezeichnet.“
Der obige Text basiert auf einem Kapitel „They: Gendern auf Englisch“ von Dr. Nele Polatschek
Die Rückkehr zum generischen Makulinum als Sammelform ist im Englischen zugegebenermaßen einfacher als im Deutschen. Aber dennoch könnte das ein Weg aus dem Dilemma sein. Die Voraussetzung wäre allerdings, dass man die Genderbrille dauerhaft absetzt.
Etwa 55% der Sprachen haben gar kein Genus, sind also 100% „geschlechtergerecht“ oder „genderneutral“. Die Geschlechter werden in diesen Sprachen auf unterschiedliche Weise angesprochen. Große Vertreter sind hier Chinesisch, Persisch (Iran, Afghanistan), Türkisch, die meisten kurdischen Sprachen, Japanisch und weitere. Wo bleibt da der Einfluss der Sprache und des Sprechens auf die gesellschaftliche Realität? Keines dieser Länder ist als ein Ort bekannt, in dem die Gleichberechtigung der Geschlechter besondere Erfolge erzielt hat. Vielmehr wird gerade in diesen Ländern die traditionelle Rolle der Geschlechter stark betont.
Französische, italienische, englische, türkische, chinesische Frauen haben in der Regel kein Problem mit ihren Sprachen, was die Geschlechtergerechtigkeit betrifft. Aus französischer, italienischer, englischer, türkischer Sicht wirkt das deutsche Gendern merkwürdig, verschroben, übertrieben, „typisch deutsch“.
- Gendern kostet Geld, weil Formulare, Aufschriften, Schriftstücke aller Art (z. B. in Behörden) neu hergestellt werden müssen
Das ist zwar kein sprachwissenschaftliches Argument, aber trotzdem wichtig, weil die Kosten für Gender-Anleitungen sowie neue Formulare in Behörden und Institutionen von den Steuerzahlern aufgebracht werden müssen. Es sind bereits große Summen dafür ausgegeben worden (Beispiel: Stadtverwaltung Hannover), von den indirekten Kosten für „Gleichstellungs“-Beauftragte und Gender-Professuren ganz zu schweigen.
Von den nicht zu beziffernden Kosten, was die die geistigen Ressorurcen angeht, möchte ich hier lieber nicht reden.
6. Kritisches Fazit aus sprachwissenschaftlicher Sicht
Das Gendern der Sprache ist bereits im theoretischen Ansatz problematisch, weil der Impuls von der Gender-Theorie ausgeht, nicht vom tatsächlichen Sprachgebrauch. Sprache verändert sich aber durch den Sprachgebrauch und nicht am sprachaktivistischen Reißbrett. Sie verändert sich von unten nach oben, nicht umgekehrt, es sei denn, man betreibt bewusst Sprachpolitik in politischer/manipulativer Absicht.
In der praktischen Wirkung ist das Gendern der Sprache kontraproduktiv. Mehr Geschlechtergerechtigkeit wird nicht durch Sprachvorschriften erreicht, sondern durch politische und gesellschaftliche Veränderungen, wie sie in den letzten fünfzig Jahren verstärkt stattgefunden haben. Dieser Prozess wird weitergehen, und die Sprache wird ihn angemessen abbilden. Das kann vielleicht etwas länger dauern, als bestimmte Aktivisten es sich wünschen. Eine feministische Sprachpolitik braucht es dazu nicht. Es ist – nebenbei bemerkt – schon irritierend, wenn ausgerechnet Menschen, die sich selbst für sensibel und achtsam halten, keine Skrupel haben, die Sprache zu verunstalten. Die Sprache kann sich halt nicht wehren oder verweigern – die Sprecherinnen und Sprecher aber sehr wohl.
Das Gendern ist in meinen Augen ein Versuch, ein bestimmtes Denken durch die Veränderung der Sprache zu erreichen. Ich will es zwar nicht mit der Praxis totalitärer Systeme vergleichen, dazu ist es zu harmlos, aber es wird von einer einflussreichen Minderheit propagiert, die moralischen und politischen Druck zur Durchsetzung ihrer Ziele benutzt. Oft wird argumentiert, es würden ja lediglich Vorschläge gemacht. Jeder könne es mit dem Gendern halten, wie er wolle. Das verkennt aber die Realität. Abgesehen davon, dass man nicht mehr von „Vorschlägen" sprechen kann, wenn ins Sprachsystem eingegriffen wird, ist das Gendern inzwischen durch feministische Sprachwissenschaftlerinnen sowie Frauen- und „Gleichstellungs“-beauftragte an Universitäten, in Verwaltungen, Parteien und anderen Institutionen zum Standard erhoben worden. Obwohl die Verfechter des Genderns eine kleine Minderheit sind, haben sie Macht. Ihr Hebel ist eine feministische Moral. Wer sich der neuen Sprachpolitik verweigert, gilt als rechts, frauenfeindlich, reaktionär, gestrig und muss mit Sanktionen rechnen. Sachargumente aus der Sprachwissenschaft haben keine Chance, denn nicht die Sache – die Sprache – ist wichtig, sondern die „richtige“ Gesinnung.
Letztlich geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Deutungshoheit und Macht. Der Mehrheit soll eine Sprachregelung verordnet werden, um das Bewusstsein in Richtung der Gender-Theorie zu verändern. Man kann das auch Manipulation und Bevormundung nennen. Geschlechtergerechtigkeit wird dadurch nicht befördert, eher im Gegenteil. Das Gendern der Sprache durch eine Minderheit aus dem akademischen Umfeld erweist der Sache der (Frauen)-Emanzipation einen Bärendienst, weil die Veränderungen im Kern sprachfremd sind und weil die große Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher Eingriffe „von oben“ in das Sprachsystem ablehnt.
Die Ablehnung des Genderns ist oft intuitiv, weil die meisten Menschen wenig Einblick in das Sprachsystem haben, aber merken, dass da etwas in die falsche Richtung läuft. Die Zustimmung auf der anderen Seite ist oft blind, weil sie aus einer Mischung aus Unkenntnis über die Funktionsweise der Sprache, schlechtem Gewissen, Opportunismus und falscher Solidarität mit den Sprachaktivistinnen erfolgt.
Selbstverständlich darf das Gendern nicht verboten werden. Jeder, der mag, soll gendern dürfen. Aber es darf andererseits auch nicht verordnet oder gegen Androhung von Sanktionen „empfohlen“ werden. Meine Hoffnung ist, dass das Gendern Episode bleibt, weil es von der Mehrheit der Sprecherinnen und Sprecher nicht angewendet wird. Die deutsche Sprache wird es hoffentlich abschütteln, wie sie schon so manche Eingriffe von verschiedenster Seite abgeschüttelt hat.
„Überlassen wir es unterschiedlichen Interessengruppen, unterschiedliche und vielfältige Vorschläge zu machen und überlassen es dem freien Spiel der Kräfte, welche Formen sich am Ende durchsetzen. So (und nur so) funktioniert Sprachwandel ohnehin.“ (Anatol Stefanowitsch)
Zusammengefasst:
- Die aktuell geltenden Formen der deutschen Sprache reichen aus, um hinreichend zu differenzieren und auch die Frauen „sichtbar zu machen“. Gerechtigkeit ist keine Kategorie der Sprache, sondern ihrer Anwender. Respekt und Wertschätzung hängen nicht von der Sprache als System ab, sondern von den Einstellungen der Sprecher. Gendern legt ein unangemessen großes Gewicht auf den Sexus, und zwar auch dort, wo er keine Rolle spielt.
- Die Sprache entwickelt sich weiter über den Sprachgebrauch, nicht durch Sprachregelungen von oben. Sie wird sich über den Sprachgebrauch in Richtung auf mehr Geschlechtergerechtigkeit wandeln, wenn in der gesellschaftlichen Realität mehr Gerechtigkeit erreicht ist.
- „Feministische Sprachwissenschaft“ ist vergleichbar mit „katholischer Mathematik“. Sie ist in Gefahr, Denkverbote zu errichten und das herauszufinden, was sie vorher an Prämissen hineingesteckt hat. Insofern handelt es sich nicht um ergebnisoffene Wissenschaft, sondern um politischen Aktivismus und letztlich um Ideologie. Undurchdachte und ideologisch motiverte Eingriffe von dieser Seite in das gewachsene Sprachsystem sind nicht nur überflüssig, sondern verursachen grammatisches Durcheinander. Sie schaffen viele neue Zweifelsfälle und sprachliche Unklarheiten, manchmal sogar sprachlichen Unsinn.
- Die Frage, ob das Gendern zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führt, kann also mit einem klaren Nein beantwortet werden.
Weitere interessante Links zur Kritik am Gendern:
https://www.youtube.com/watch?v=yUuE_aCrKsQ
https://www.youtube.com/watch?v=Ri-kVYDTEAk
https://www.youtube.com/watch?v=yHwgq4IiwRA
Interessante Umfrage zum Thema Gendern an der Universität: https://www.unicum.de/de/erfolgreich-studieren/hausarbeit-co/gendersensible-sprache-an-der-uni-ja-oder-nein
Empfehlenswert und materialreich auch:
Tomas Kubelik, „Genug gegendert!", erschienen 2013 im Projekte-Verlag Halle,
ISBN 978-3-95486-251-1