Paul Pfeffer
Was fehlt: ein humaner, aufgeklärter, ideologiearmer Feminismus
Als ein Mann, der kein Feminist ist, aber die Frauen liebt und achtet, warte ich nach wie vor auf einen Feminismus, der
- vom hohen moralischen Ross heruntersteigt und nicht glaubt, Frauen seien die besseren Menschen
- nicht auf überkommenen feministischen Dogmen („Gewalt ist männlich“, „Alle Männer sind potenzielle Vergewaltiger“, „Männer sind missglückte Frauen“, „Männer sind emotionale Krüppel“, Männer sind Abschaum/Müll/Abfall/überflüssig“, „Das Patriarchat ist an allem schuld“ usw.) beharrt, sondern die positiven gesellschaftlichen Entwicklungen sowie die Erkenntnisfortschritte in den Human-Wissenschaften (Evolutionsbiologie, Sozialwissenschaften) zur Kenntnis nimmt und sich entsprechend fortentwickelt
- aufhört, Stereotype zu zementieren, statt sie aufzulösen
- aufhört, immer die gleichen Opfererzählungen zu wiederholen („Männer sind die Täter, Frauen sind die Opfer“) und die Männer so in einen moralischen Schwitzkasten zu nehmen
- die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Geschlechtern möglichst auf wissenschaftlicher Grundlage klar herausarbeitet und dabei die Anteile von Natur (Körperlichkeit, Biologie) und Kultur (Geschlechterrollen, soziale Konstrukte) im Blick hat
- die (unterschiedlichen!) Potenziale der Geschlechter für die Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen (zusammen mit den Männern als Partnern!) erschließt
- auf patriarchalische Verschwörungsmythen verzichtet und nicht alle Männer für die „jahrtausendelange Unterdrückung der Frau“ in Haftung nimmt
- aufhört, „den Mann“ als Feindbild aufzubauen und „die Frauen“ als Opfer zu stilisieren, sondern sie ermutigt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen
- den Frauen nicht ein Rollenmodell überstülpt, sondern für die Frauenrolle eine große Varianzbreite an Lebensentwürfen akzeptiert, ebenso für die Männerrolle
- ein positives Verhältnis zur eigenen (weiblichen) Sexualität entwickelt und die männliche nicht pauschal abwertet
- die technischen und geistigen (Vor-)Leistungen von Männern für die Emanzipation der Frauen anerkennt oder wenigsten erwähnt
- anerkennt, dass auch Männer im Haus unbezahlte Arbeit leisten (Arbeiten, die größere Körperkraft erfordern, Garten, Reparaturen, Bauten ...)
- Kritik an den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Feminismus nicht reflexhaft als „Sexismus“ und „Frauenfeindlichkeit“ diffamiert und in der Lage ist, auch Selbstkritik zu üben (z. B. an den Auswüchsen des Genderismus und an feministischen Mythen und Dogmen). Wünschenswert wäre auch weniger Verbissenheit und mehr Humor.
Wenn der Mainstream-Feminismus aufhört, eine Ersatzreligion für arrivierte Mittelschichtsfrauen zu sein, wenn er aufhört, es sich in der Opferrolle bequem zu machen, wenn er aufhört, sich gegen Kritik und Selbstkritik abzuschotten, wenn er dagegen die Lebenswelten aller Frauen (z. B. in Deutschland, aber auch weltweit) unvoreingenommen in den Blick nimmt, wenn er Männer als potenzielle Partner und nicht als Feinde sieht, wenn er Frauen ermutigt, sich etwas zuzutrauen, statt sich auf Quoten zu verlassen, dann kann sich zwischen den Geschlechtern eine neue, dynamische Balance entwickeln, die alte und obsolet gewordene Strukturen überwindet.
Ich vermute, dass viele Frauen (vielleicht sogar eine Mehrheit) diesen Thesen zumindest teilweise zustimmen kann. Diese Frauen melden sich aber nicht öffentlich zu Wort, sondern lassen die lauten Minderheiten das Diskursklima diktieren, weil sie befürchten, in die Schusslinie der Aktivistinnen zu geraten und des Verrats an der Sache der Frauen bezichtigt zu werden.