Da unten

„Anna?“
„Ja?“
„Kannst du dir vorstellen, ähm… Könntest du dich vielleicht mal rasieren, ich meine, da unten… Du weißt schon.“
„Wieso?“
„Ich fänd’s schön. Tu’s mir zuliebe.“
„Gefalle ich dir nicht, so wie ich bin?“
„Doch, schon. Aber…“
„Na also. Ich vertrage es einfach nicht. Und jetzt verschone mich mit deinen komischen Vorschlägen.“
„Ja, ist ja schon gut.“
Franz seufzte. Wieder nichts. Er war schon fast drei Jahre mit Anna zusammen. Eine lange Zeit. Und in dieser Zeit hatte er sich immer wieder gewünscht, dass sie sich da unten rasierte. Er stellte es sich schön vor, ihr weiches, haarloses Geschlecht anzuschauen und zu streicheln. Vielleicht konnte er sogar die Lippen küssen wie einen Mund… Aber daran war nicht zu denken. Anna wollte nicht. Alle seine Vorstöße waren kläglich gescheitert.
Er hatte lange gebraucht, um zu begreifen, dass es nicht böser Wille ihrerseits war, sondern mit ihrer Grundeinstellung zusammenhing. Anna hatte Prinzipien. Er lebte mit einer konsequenten Verfechterin der Natürlichkeit zusammen. Alles musste natürlich sein oder „naturbelassen“, wie Anna sich ausdrückte. Also Reformhaus-Kost, kein Make-up, Haarwäsche mit Bier und Essigwasser, kein Deo, keine Kunststoffe am Körper, nur Baumwolle. Dazu Verhütung nach Knaus-Ogino, was überraschenderweise funktionierte. Franz war damit anfangs eigentlich ganz einverstanden gewesen. Er wollte gesund leben. Aber er fand, dass Anna übertrieb. Im Ganzen war sie ein bisschen zu streng. Machte eine Religion aus der Natürlichkeit. Besonders ärgerlich fand er, dass sie damit alles abwehren konnte, was ihr nicht passte: Sie „vertrug“ es einfach nicht. „Ich vertrage es nicht“ war der Schlusspunkt jeder Diskussion. Besonders in der Rasurfrage. Auch da unten herrschte Natürlichkeit. Sie vertrug keine Enthaarungscremes und die Vorstellung von einer Rasierklinge schon gar nicht. Basta!
Auch andere Versuche in erotischer Absicht waren bei Anna zum Scheitern verurteilt. Ganz am Anfang hatte Franz ihr manchmal Werbeanzeigen in Frauenzeitschriften gezeigt, auf denen Frauen in verführerischer Wäsche abgebildet waren. Er wollte eigentlich gar nichts Besonderes. Hatte nur ihre ewigen Baumwollschlüpfer satt.
„Anna?“
„Ja?“
„Könntest du nicht… Ich meine, solche Sachen wären doch auch mal sehr schön.“
„Du willst also, dass ich Reizwäsche anziehe.“
„Na ja, ich denke halt…“
„Ich gefalle dir also nicht, wie ich bin!“
„Ja … Nein, aber du könntest doch mal…“
„Franz, du weißt doch, dass ich das Kunststoffzeugs nicht vertrage. Und überhaupt… Du hast manchmal Ideen!“
So war Anna. Franz seufzte noch einmal. Seufzen tat gut, aber es war keine Lösung. Wenn sie nicht auf seine Wünsche eingehen wollte, musste er sie irgendwie überlisten. Aber wie überlistet man eine Frau wie Anna?
Schließlich hatte er eine geniale Idee, die geniale Idee, wie ihm schien. Wenn er Anna schon nicht überreden konnte, musste er es ihr durch die Praxis beweisen. Kurz: Franz hatte beschlossen, sich selbst da unten zu rasieren und Anna sozusagen durch den Tastbefund zu überzeugen. Es gab allerdings eine Schwierigkeit: Enthaarungscremes schieden aus. Zu viel Chemie. Blieb also die Rasur. Aber er war überzeugter Trockenrasierer und misstraute den Nass-Rasierapparaten zutiefst. Sie erschienen ihm barbarisch. Es brauchte einen beträchtlichen Informations- und Beratungsaufwand, bis Franz mit dem teuersten Gerät – Doppelklinge mit Mikroschliff –, einem hochwertigen Rasierpinsel und einer Dose feinsten Rasierschaums aus der Drogerie kam.
Jetzt musste noch der beste Zeitpunkt gefunden werden. Franz entschied sich für Mittwochabend, weil Anna zu dieser Zeit ihren Aerobic-Kurs hatte und erst gegen zehn nach Hause kam. Sie roch dann sogar meist dezent nach einem Duschgel. Möglich, dass sie es sich von einer der anderen Frauen auslieh. Ausnahmsweise natürlich.
Franz ging mit Umsicht zu Werke. Er hatte sich überlegt, dass er nicht alle Haare beseitigen wollte, sondern nur die ganz unten. Sorgfältig pinselte er sich den Schaum auf, wartete eine Weile, um dann mit kleinen, vorsichtigen Bewegungen das weiße, cremige Zeugs samt den Haaren abzuschaben. Und siehe da, es ging leichter, als er befürchtet hatte. Es ging sozusagen wie geschmiert. War ja überhaupt kein Problem! Franz wurde richtig übermütig und nahm noch ein paar Haare aus einem Bereich weg, der in Frauenzeitschriften „Bikinizone“ hieß.
Viel schneller als geplant war er fertig. Jetzt noch unter die Dusche. Ausnahmsweise ein winziges Tröpfchen Duschgel. Und dann nach unten fassen. Aah, was für ein wunderbares Gefühl! Sensationell! Weich war gar kein Ausdruck. Wie Samt und Seide fühlte sich das an. Ja, seidenweich war das richtige Wort. Ein besseres fiel ihm nicht ein. Ich könnte mich glatt in meine eigenen Eier verlieben, dachte Franz und musste grinsen. Er trocknete sich sorgfältig ab. Fasste noch einmal nach unten und noch ein weiteres Mal. Überzeugend, wirklich sehr überzeugend! Anna konnte kommen.
„Franz!“
„Ja?“
„Was ist das?“
„Was meinst du?“
„Ach, tu doch nicht so! Da unten bei dir…“
Franz frohlockte. Er fühlte sein Herz schlagen. Sie hatte es gemerkt. Und ihre Stimme klang irgendwie anders als sonst.
„Ach, das meinst du...“
„Ja, das meine ich.“ Kleine, bedrohliche Pause. Und dann: „Da steckt doch sicher eine Frau dahinter.“
Franz nahm seinen ganzen Mut zusammen.
„Ja, es steckt eine Frau dahinter. Du, Anna.“
Eine Weile herrschte tiefstes Schweigen im Schlafzimmer. Dann Annas Stimme, scharf wie eine Rasierklinge:
„Du lügst.“
„Aber nein, ich wollte doch nur…“
„Ich habe es im Gefühl, wenn du lügst.“
Oh nein, dachte Franz, nicht wieder diese Falle! Anna gehörte zu den Frauen, die glauben, dass ihre Gefühle immer richtig sind. Mit dem Verstand kann eine Frau sich irren, mit dem Gefühl nicht. Wenn Anna ein Gefühl hatte, war sie immer im Recht. Unfehlbar wie der Papst.
„Aber Anna, ich hab es deinetwegen getan.“
Anna schluchzte bereits.
„Du hast eine andere. Gib es zu!“
Himmel, hilf! dachte Franz. Das darf doch nicht wahr sein, dass sie glaubt, dass ich…
„Gib es zu! Ich spüre so was ganz genau.“
Franz fielen alle seine Sünden ein. Ja, er hatte manchmal geschwindelt. Lügen war nicht seine Stärke. Einige Male hatte er sogar Lügen zugegeben, obwohl er gar nicht gelogen hatte, nur um einem Streit mit Anna aus dem Weg zu gehen. Aber diesmal ging es um mehr. Franz beschloss zu kämpfen.
Der Kampf dauerte die ganze Nacht.
Als Anna im Morgengrauen neben ihm total erschöpft eingenickt war, stand Franz auf, um sich in der Küche ein Glas Wasser zu holen. Er fühlte sich ziemlich zerschlagen, aber sonst gar nicht schlecht. Hatte Anna zwar nicht überzeugt, aber seine Rasur standhaft verteidigt. Sollte sie ihn doch pervers finden! Sollte sie doch glauben, dass er eine andere hatte! Diese Gewitterziege! Diese naturbelassene Baumwollkuh!
Ist doch wahr!
Franz legte sich wieder hin. Die Gedanken wirbelten in seinem Hirn herum. Nein, er hatte Anna nicht angelogen und wenn sie es hundertmal im Gefühl hatte. Es steckte keine andere Frau dahinter. Er hatte sich für Anna rasiert. Nur für sie! Sie waren zwar nicht verheiratet, aber so gut wie. Er liebte sie wahrscheinlich. Bisher war er noch nicht auf den Gedanken gekommen, sie mit einer anderen Frau zu betrügen.
Er lag ganz still und horchte ins Halbdunkel. Anna lag auf dem Rücken und schnarchte leise. Er warf einen Blick zu ihr hinüber. Ja, er war ihr treu gewesen die ganze Zeit. Obwohl es nicht immer leicht gewesen war.
Franz fasste nach unten und fing an, sich zu streicheln. Was für ein wunderbares Gefühl! Das bin ich, meine eigene Haut. Franzhaut. Herrlich zart, weicher als Seide. Diese Zartheit schrie danach, mit jemandem geteilt zu werden.
Vielleicht, dachte er, ist Annas Idee mit der anderen Frau doch nicht so schlecht.

 

(c) Paul Pfeffer