Eigentlich mag ich lieber Katzen

Katzen sind Einzelgänger und lassen einen in Frieden, wenn man sie in Frieden lässt. Hunde sind Rudeltiere und betrachten ihre Besitzer entweder als Leithund oder als Rudel. Das ist anstrengend. Katzen wollen nur etwas zu fressen und ab und zu eine Streicheleinheit. Hunde dagegen, vor allem wenn sie groß und zottelig sind, machen eine Menge Arbeit. Sie müffeln, sabbern und haaren. Wenn sie bellen, klirren die Scheiben. Außerdem muss man immer Angst haben, dass sie irgendetwas umschmeißen oder anfressen.
Wir haben seit einem halben Jahr einen großen, zotteligen Hund, einen französischen Prior von drei Jahren. Wir haben ihn sozusagen geerbt. Ich hätte ihn mir freiwillig nicht ausgesucht. Aber wenn ich jetzt so auf der Terrasse sitze und der Hund friedlich da liegt, mir die Füße wärmt und von Zeit zu Zeit zufrieden schnauft, muss ich zugeben, dass ich mich schon fast an ihn gewöhnt habe. Wir haben ihm auch sofort einen neuen Namen gegeben. Jetzt heißt er Rollo. Wie der Hund von Effi Briest beim alten Fontane. Der Name stammt übrigens von mir. Früher hatte er einen italienischen Namen, „Tesoro“, was auf Deutsch „Schatz“ heißt. Edith hatte ihn so genannt. Ich fand schon damals, dass „Tesoro“ für diesen riesigen, tapsigen Zottelhund sowieso der falsche Name war. Es klingt eher nach Rehpinscher oder Mops.
Bei Edith ging es ständig Tesoro hier, Tesoro da, Tesoro hinten und vorne. Häufig nannte sie ihn auch „mein Schatz“ oder „Schatzi“, was in meinen Ohren wie eine Provokation klang. Der Hund ist nämlich ein Hundemann. Ich fand es einfach nicht passend. Abgesehen davon redete sie ständig mit ihm. Ich habe ziemlich lange gebraucht, bis ich herausbekam, was mich daran störte. Es war weniger der Inhalt als die Art und Weise, wie sie mit ihm sprach. Einerseits war es dieser ganz eigenartige Hundebesitzertonfall, diese Mischung aus Befehlston und Kleinkindersingsang, aber es war andererseits auch die Art, wie eine Ehefrau mit ihrem Mann spricht, wenn sie schon zwanzig Jahre mit ihm verheiratet ist. Dieser routinierte Besitzerinnen-Ton! Wäre ich der Hund gewesen, ich hätte mich mit Zähnen und Klauen gewehrt. Aber Hunde sind anscheinend in dieser Hinsicht ziemlich blöde. Sie wollen besessen werden. Dafür sind sie dann treu.
Wahrscheinlich ahnen Sie schon, worauf das Ganze hinausläuft: Edith hatte sich diesen Hund zugelegt, als ihr Mann sie verließ. Offiziell war es wegen der jüngeren Nachbarin. Was da sonst noch eine Rolle gespielt hat, ist reine Spekulation. Es geht mich auch nichts an. Nun werden Sie sagen, das ist nichts Besonderes. Die Parks sind voll von Mittfünfzigerinnen, verlassen, geschieden oder früh verwitwet, die mit ihrem Hund reden wie mit einem Menschen und eine Einheit mit ihm bilden gegen die böse Welt da draußen.
Bei Edith war das so, aber es ging noch ein bisschen weiter. Nachdem sie eine verlassene Ehefrau geworden war und eine tiefe Krise durchlebt hatte, legte sie sich zwei Leidenschaften zu: einen amerikanischen Psycho-Guru, dem sie in absolut kritikfreier, liebender Verehrung zugetan war, und… Tesoro. Der Hund war von nun an ihr Lebensmittelpunkt, um den sich alles drehte. Wenn sie bei uns zu Besuch war, was häufig vorkam, weil sie nicht weit von uns wohnte und außerdem die beste Freundin meiner Frau war, gab es nach kurzer Zeit nichts anderes mehr als diesen Hund. Ein Gespräch von mehr als einer halben Minute war nicht möglich, weil sich der Hund dazwischen drängelte und irgendetwas tat. Jede Bewegung von ihm wurde registriert und kommentiert.
Tesoro legte sich hin.
Edith: Ja, du bist müde, mein Schatz.
Tesoro stand auf.
Edith: Jetzt hat er etwas gehört.
Tesoro wedelte mit dem Schwanz.
Edith: Schaut mal, wie er sich freut.
Tesoro knurrte.
Edith: Jaaa, guter Wachhund. Pass gut auf dein Frauchen auf, gell!
Tesoro sprang an mir hoch und versuchte mich zu lecken.
Edith: Brauchst keine Angst zu haben, er will nur spielen.
Und zum Hund: Gell, Schatzi! Ja ja, du bist mein Schatz!
Zur Belohnung nahm sie dann seinen Zottelkopf zwischen die Hände und gab ihm einen Schmatz auf die Schnauze, worauf er ihr mit seiner breiten Zunge übers Gesicht fuhr.
Wenn ich zum Beispiel bei den Verabschiedungen Edith etwas näher kam, pflegte Tesoro mich anzuknurren und in die Wade zu knapsen.
Edith entzückt: Oh, schaut mal, wie eifersüchtig er ist! Kluger Hund!
Meiner Ansicht nach kann man nicht nur Menschen, sondern auch Tiere missbrauchen. Die Art, wie Edith mit ihrem Hund umging, war für mich eindeutig Missbrauch. Zum Glück war ich da einer Meinung mit Inge, meiner Frau, die sonst eher zu Edith hielt, wenn ich mich über sie beschwerte, sie „Hundefrau“ nannte und ihren Hund „Sauhund“. Der Hund war damals wirklich ein Sauhund. Er war völlig verzogen oder besser gesagt gar nicht erzogen. Er wusste einfach nicht, was oder wer er war, weil er nicht als Hund, sondern als Mensch behandelt wurde. Erschwerend kam hinzu, dass er ein schöner Hund war. Wie schöne Menschen sind auch schöne Tiere in Gefahr, mehr Bewunderung auf sich zu ziehen, als sie verdienen, was sehr leicht zu charakterlichen Aussetzern führen kann. Sie fangen an, Unarten zu entwickeln. Ediths Tesoro hatte etliche davon. Besonders unangenehm war seine Angewohnheit, sich von hinten anzupirschen, einem die dicke Schnauze zwischen die Schenkel zu stecken und an den Geschlechtsteilen herumzuschnüffeln. Ich weiß nicht, ob Edith ihm das beigebracht hatte. Wenn ja, lässt es tief blicken. Ist aber auch egal. Es war auf jeden Fall eine Zumutung. Ediths Kommentar dazu: Das macht er nur bei Leuten, die er mag. Ist er nicht süß!?
Vielleicht ist bis hierhin schon klar geworden, dass die eigentliche Zumutung nicht der arme Hund war, sondern Edith. Die Tatsache, dass sie verlassen worden war, hatte sie in eine Frau-Hund-Guru-Triade verwandelt. Ich weiß, dass das tragisch ist und dass man sich nicht darüber lustig machen darf. Aber ich gestehe, dass ich nach den Besuchen von Edith plus Hund mit bissigen und sarkastischen Kommentaren nicht sparte, was mich zwar emotional entlastete, mir aber auch manchen Tadel von meiner Frau einbrachte, die mir vorwarf, ich behandelte die arme Edith schlecht. Wenn ich einwandte, auch eine verlassene Frau genieße auf Dauer keine Immunität gegen berechtigte Kritik, schaute sie mich nur vorwurfsvoll an, und ich verstummte. Inge wusste es eigentlich besser. Dass sie in diesem Punkt zu Edith hielt, war die reine, durch keinerlei Logik getrübte Frauensolidarität. Das Schlimmste war, dass diese Frau und ihr Hund anfingen, sich in unsere Gedanken und Gespräche einzuschleichen. Nächtelang diskutierten wir, betrieben Edith- und Hunde-Psychologie, kreisten immer wieder um die gleichen Hypothesen und kamen zu keinem Ergebnis.
Edith hingegen besuchte uns nun öfter. Sie sei ja so dankbar, dass ihr Tesoro sich bei uns wie zu Hause fühle. Ich war nahe an der Verzweiflung. Es gab Momente, wo mir fast der Kragen geplatzt wäre, wo ich die Hundefrau mitsamt ihrem Sauhund in den gröbsten Tönen beschimpft, beleidigt und anschließend aus dem Haus geworfen hätte. Aber ich tat es nicht. Ich wagte es nicht, weil ich, wie Inge mir klargemacht hatte, wirklich befürchten musste, dass ich Edith dadurch seelisch schwer beschädigen würde. Was ich vorher schon theoretisch wusste, wurde durch Edith leibhaftig demonstriert: dass aus Schwäche eine furchtbare Stärke erwachsen kann.
Was tut ein Mann in einer solchen Situation? Genau! Er entzieht sich. Wenn Edith sich mit ihrem Hund ansagte, schützte ich irgendwelche dringenden Verpflichtungen vor. Ich war einfach nicht da, wenn sie kam. Inges Kommentar: Typisch Mann! Ich fühlte mich wie ein Feigling, denn in Wirklichkeit war es eine Flucht. Diese Frau-Hund-Kombination machte mich wehrlos und ohnmächtig in meinem eigenen Haus.
Vor etwa einem halben Jahr wurde Edith in ihrem tadellos gepflegten Steingarten am Fuß einer kleinen Treppe tot aufgefunden. Genickbruch. Die Hundeleine war um ihre Beine gewickelt, so dass die Kriminalpolizei davon ausging, dass der Hund um sie herumgelaufen sein musste, bevor er sie zu Fall brachte. Wahrscheinlich wollte er nur spielen. Als ihre Nachbarn sie fanden, lag der Hund neben ihr, die Schnauze auf den Pfoten, und schien ganz zufrieden. Auch als man sie wegbrachte, blieb er erstaunlich ruhig. Nach der Beerdigung kam die Frage auf, wer ihn in Pflege nehmen sollte. Ediths Angehörige und Bekannte lehnten dankend ab. Nur meine Frau nicht. Das könne sie Edith nicht antun, sagte sie und schnappte sich die Leine.
Seitdem lebt Rollo bei uns. Ich war anfangs strikt dagegen, aber ich muss sagen, dass Inge ihn in erstaunlich kurzer Zeit zu einem Hund gemacht hat. Er darf nicht ins Haus, sondern wohnt draußen in einer Hütte, die ich ihm gebaut habe. Den Winter über steht sie im Wintergarten. Seit er wie ein Hund lebt, hat er bis auf ganz wenige Ausrutscher seine Unarten abgelegt und hört aufs Wort, sogar auf meines. Noch lässt er mich aber im Unklaren darüber, ob ich sein Leithund oder sein Rudel bin. Inzwischen verträgt er sich prächtig mit unseren zwei Katzen. Und für meine Gesundheit ist er ein Segen. Ich drehe jeden Morgen und jeden Abend eine Runde mit ihm um die vier Ecken, lasse ihn ausgiebig pinkeln und an anderen Hunden herumschnüffeln, während ich mit den anderen Hundebesitzern ein Schwätzchen halte. Es gibt ganz nette darunter, besonders diese Frau Wagner aus der Kantstraße mit dem Golden Retriever. Sie ist übrigens Mitte fünfzig und frisch verwitwet.
Ich werfe einen Blick unter den Tisch. Wenn Rollo so da liegt, den dicken Zottelkopf auf meinen Füßen, kann ich mir sogar vorstellen, dass ich ihn irgendwann gernhaben könnte.

Obwohl ich eigentlich Katzen lieber mag.

 

(c) Paul Pfeffer