Quitten

Meine Freundin Brigitte ist praktisch veranlagt. Sie pflegt alles unter dem Gesichtspunkt der Verwertbarkeit zu betrachten, was Vor- und Nachteile hat. Zum Beispiel findet sie die Gedichte, die ich gelegentlich absondere, völlig überflüssig. Andererseits ist sie eine der wenigen mir bekannten Frauen, die ohne männliche Hilfe einen Reifen wechseln können.
Es versteht sich von selbst, dass Brigitte einen Garten hat, wobei der Begriff Garten eine Untertreibung ist. Es handelt sich um ein Grundstück vom Umfang einer mittleren Plantage, auf dem alles wächst, was irgendwie eingemacht, in Gläser und Flaschen abgefüllt, gedörrt oder sonstwie verarbeitet werden kann. Blumen? Nein, keine Blumen. Blumen kann man nicht zu Saft verarbeiten.
Je nach Jahreszeit ist Brigitte zu sprechen oder nicht zu sprechen. Im Frühjahr zum Beispiel ist sie absolut unabkömmlich, weil der Garten sie total absorbiert. Im Sommer geht es einigermaßen, da muss sie nur ab und zu mal raus und ein paar Sachen abschneiden. Zum Beispiel Schnittlauch, den ich persönlich sehr sympathisch finde und von dem sie mir ab und zu ein Bund zusteckt. Abschneiden ist übrigens eine Leidenschaft von ihr. Sie schneidet unglaublich viel ab und spricht auch ständig davon, was sie alles abgeschnitten hat. Wenn man ihr nicht dabei zuhört, kann sie ziemlich grantig werden. Im Winter ruht das Ganze, und Brigitte verbringt ihre Zeit damit, Gartenkataloge zu wälzen und sich aus dicken Büchern praktische Tipps und Tricks für den ambitionierten Hobbygärtner herauszuschreiben. Sie ist nämlich schon seit Jahren damit beschäftigt, Material für das ultimative Gartenbuch zu sammeln.
Bleibt der Herbst. Und der ist die reine Katastrophe. Im Herbst ist Brigitte überhaupt nicht zu sprechen, weil sie in Hektik verfällt und ununterbrochen im Garten herumwerkelt. Der Herbst hat nämlich die Angewohnheit, dass in ihm mehr oder weniger gleichzeitig alles reif wird und verwertet werden muss. Die Äpfel, die Birnen, die Aprikosen und Pfirsiche, die Pflaumen, die Quitten und was sonst noch alles in Massen anfällt, müssen abgeerntet und verarbeitet oder an den Mann gebracht werden.
Brigitte hat einen eisernen Grundsatz, der da lautet: Bei mir kommt nichts um! Darin und in dem Drang des An-den-Mann-Bringens liegt der Kern des Problems zwischen Brigitte und mir. Unsere Freundschaft besteht schon lange, wir kennen uns praktisch schon vom Kindergarten her, aber in jedem Herbst wird diese Freundschaft schweren Belastungsproben ausgesetzt. Brigitte hat ein Gespür für Menschen, die sich leicht breitschlagen lassen. Leider gehöre ich auch dazu, und sie nutzt das bedenkenlos aus. Dieses Jahr zum Beispiel gab es Quitten wie Sand am Meer. Als ich sie einmal besuchte, lagen, ehe ich mich versah, etwa drei Zentner Quitten im Kofferraum meines alten Opel Kadett. Auf meine schüchterne Frage, was ich denn bitte schön mit drei Zentnern Quitten machen solle, antwortete sie nur: Na was schon! Gelee! Sprach's und verschwand in ihrer Plantage, um einer ihrer Freundinnen sechs prall gefüllte Säcke mit Boskop anzudrehen.
Ich fuhr mit meinen Quitten nach Hause. Unterwegs überkam mich der Drang, die drei Zentner einfach bei der städtischen Kompostierungsanlage vorbeizubringen. Davon hielt mich nur der Gedanke ab, dass Brigitte von mir Rechenschaft fordern würde, was ich mit den Quitten gemacht hätte. Sie war da unerbittlich. Im letzten Jahr hatte sie mich schon dabei erwischt, dass ich die zwei Zentner Pflaumen, die sie mir aufgenötigt hatte, zum großen Teil in Tüten verpackt und meinen Nachbarn anonym vor die Tür gestellt hatte.
Die Quitten entpuppten sich als echte Herausforderung. Quitten sind steinhart. Man kann sie nämlich nicht einfach essen, sondern kommt nicht umhin, sie in komplizierten Prozeduren so lange zu häckseln, zu kochen, zu entsaften, bis man eine trübe Brühe gewonnen hat, die man dann auch noch durch Tücher filtern muss. Dann erst können sie mit Unmengen von Zucker zu Gelee werden. Die Weisheiten eignete ich mir aus dem Internet an, wo sich offenbar eine ganze Gemeinde von Quitten-Freaks tummelt. Ich gestehe, dass ich mindestens die Hälfte der Quitten in meinem Garten vergrub, wo sie seitdem in Frieden ruhen. Die andere Hälfte jedoch verarbeitete ich nach einem Internet-Großmutter-Rezept zu einem hellorangen Gelee. Das Ergebnis überraschte mich positiv. Mein Gelee schmeckte! Und zwar nach einer Mischung aus Mandarine, Orange, Apfel und Birne. Sehr aromatisch! Ich würde Brigitte ein paar Gläser schenken, und sie würde stolz auf mich sein.
Quittengelee ist übrigens auch ein ästhetisches Phänomen. Die hundertzwanzig Gläser sehen schön aus auf meinem Kellerregal. Sei bilden einen wunderbaren farblichen Kontrast zu den hundert Gläsern mit dunkelbraunem Pflaumenmus vom vorigen Jahr.

 

 (c) Paul Pfeffer